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Mein erster Marathon: Ein Erlebnisbericht

Berlin-Marathon 26.09.2004

Ich fange mal beim Abend vor dem Marathon an. Ich wollte früh genug ins Bett gehen, um für den Lauf meines Lebens munter und ausgeschlafen zu sein. So entschloss ich mich, um 22:00 Uhr von meinen Leuten zu verabschieden und mich langsam bettfertig zu machen. Ich war leider noch leicht erkältet und machte mir deshalb den ganzen Abend extreme Sorgen, wie es mir wohl am Morgen gehen würde. Ich schrieb mir die Zwischenzeiten für die Zielzeit von 2:59:59 auf meinen linken Unterarm und legte mir die Sachen für den Tag der Tage zurecht. Ca. 23:00 Uhr bin ich dann ins Bett gekommen. Leider hatte ich keine Chance einzuschlafen. Es schien mir so, als ob schon jetzt extreme Adrenalinschübe vor Aufregung es verhinderten, das ich einschlafen konnte. Ich drehte mich von einer auf die andre Seite und schaute immer und immer wieder auf die Uhr. Es wurde 2 Uhr, 3 Uhr, 4 Uhr. Dann musste ich endlich eingeschlafen sein.
06:30 Uhr klingelte der Wecker. Ich sprang sofort aus dem Bett. Ich fühlte mich trotz gerade mal 2,5 h Schlaf richtig fit! Ich denke das es geholfen hat, das ich die Tage vorher richtig gut ausgeschlafen habe. Mein erster Blick ging aus dem Fenster. Es regnete zumindest noch nicht. Ab ins Bad, frisch machen. Nun zog ich mir meine Klamotten an. Über die kurzen zog ich mir die langen Laufklamotten. Zum Frühstück. 2 Bananen und ein paar Reiswaffeln mit Marmelade und eine Tasse heißer Tee mussten ausreichen. Zum Frühstück standen dann auf einmal meine Eltern vor mir, die extra aufgestanden waren um mir viel Glück zu wünschen.
07:30 Uhr brach ich dann auf. Vorher habe ich noch mal alles kontrolliert, ob ich auch ja nichts vergessen habe. Noch schnell eine Banane, einen Powerriegel und eine Wasserflasche in die Hand und los ging’s. Auf dem Weg zur U-Bahn schossen mir wieder die Gedanken durch den Kopf. Heute sollte es also soweit sein. Heute ist der Tag, auf den ich 2 Jahre hintrainiert habe. In 2 Stunden ist es soweit. Hoffentlich reichen die 2 Stunden Schlaf, die ich heute bekommen habe.
Schon in der U-Bahn (Friedrichsfelde) war ich nicht mehr alleine. Viele andere Läufer mit den weißen Berlin-Marathon-Kleiderbeuteln standen dort und warteten dort auf die Bahn. Als die Bahn kam stieg ich ein und nach einer Station wieder aus um dann in die S-Bahn Richtung Friedrichstrasse umzusteigen. Es ergaben sich die ersten flüchtigen Bekanntschaften, durch reden übers Wetter und welche Klamotten wohl die richtigen für den heutigen Tag seien. Für mich war aber von vornherein klar, das ich kurz laufen werde. Egal wie kalt es sein würde. Im Endeffekt war ich jedoch nur noch am darüber nachdenken, was heute eigentlich für ein großer Tag ist. Am Alexanderplatz stieg eine Gruppe Mexikaner (ca.10 Leute) in mein Abteil. Sie waren so locker drauf und lachten und scherzten, das man einfach nur mitlachen musste, obwohl man von deren Witzen natürlich kein Wort außer "Marathon"... oder so ähnlich verstand.
S-Bahn-Station Friedrichstrasse. Beim Ausgang aus dem Bahnhof hüllten sich schon alle in ihre Folien und spannten ihre Regenschirme auf. Es nieselte etwas stärker. Naja, dachte ich so beim mir, noch sind es ja 1,5 h bis zum Start. Bis dahin hört es vielleicht auf. Eine große Menschenschlange schlängelte ich in Richtung Reichstagsgebäude. Ich genoss diesen Gang im Regen einfach nur. Ich war noch nie so gerne im Regen spazieren gegangen.
Vorm Reichstag angekommen, ließ ich noch schnell ein Foto von mir machen und dann gings in den von 2m hohen Zäunen für die Läufer abgesperrten Bereich. Hier bekam nur derjenige Zutritt der auch eine Startnummer vorzuweisen hatte. Ich begab mich nun auf die Suche nach meinem Kleiderbeutel - LKW. Die 92 LKW standen gut sortiert und es machte mir keine Schwierigkeiten meinen zu finden. Nun noch etwas warm machen, bevor ich mich entblättere. Es war nämlich wirklich nicht grad warm. Wie ich später erfuhr waren es gerade mal 9°C aber wie schon gesagt, ich wollte heute auf jeden Fall kurz laufen. Es war heute eigentlich mein Wetter, bis auf den etwas zu starken Regen. Ich schleppte immer meine Flasche Wasser mit mir herum und trank hier und dort um mein Flüssigkeitsreservoir aufzutanken. Um 08:15 Uhr entschloss ich mich meiner langen Klamotten zu entledigen.
08:30 Uhr: Der Streckensprecher sagte alle 5 min wie lange es noch ist, bis zum langersehnten Start. Nun ging ich noch mal um die überflüssige Flüssigkeitsmengen loszuwerden. Die Wasserflasche war inzwischen auch leer. Ich war nun gut hydriert für den Lauf. Jetzt noch ein wenig dehnen und stretchen. Durch eine Unterhaltung mit einem Laufkollegen aus Berlin erfuhr ich, das der Wetterdienst für heute 13°C und Nieselregen angesagt hat. Damit werde ich wohl gut klar kommen. Small Talk unter Läufern.
Danach ging es dann rein in die Läufermassen. auf den Weg in Richtung Startblock E. Diesen Startblock hatte ich bei der Abholung meiner Startunterlagen herausgehandelt. Von vornherein wurde ich ja in den letzten Startblock H eingeteilt, da ich ja keine Marathonzeit vorweisen konnte. Da ich aber eine Halbmarathonzeit von 1h22, gelaufen 2 Wochen vor dem Berlin-Marathon, vorweisen konnte, wurde ich in Startblock E nachträglich eingruppiert. Es ging nun nur im langsamen Schritttempo vorwärts. Die Zeit lief. Ich hoffte das ich es noch rechtzeitig zum Start schaffen würde. Dieser Gedanke trieb mich vorwärts. Aber auch viele andere, wie es schien. Viele kletterten über die 2 m hohen Zäune um frei laufen zu können. Es waren nun nur noch 10 min bis zum Start und ich war immer noch nicht in meinem Startblock. Ich überlegte auch über die Zäune zu klettern. Ich wusste ja nicht wie weit es noch sein würde bis zum Startblock. Ich dachte mir aber, das ich dieses Verletzungsrisiko, jetzt nicht mehr eingehen wollte, 10 min vor meinem Moment. Also nahm ich einen Weg der für mich lustiger und nicht so verletzungsfreudig schien. Ich "hüpfte" von Massagebett zu Massagebett, Die jetzt schon aufgestellt waren. Sie wirkten wie aneinandergestellte Trampolins. Es machte richtig Spaß. Diesen Weg nahm keiner außer mir. Zumindest bis jetzt. Als das die Masse gesehen hatte entschieden sich immer mehr, die Betten auf Ihre Haltbarkeit zu testen. Ich machte Meter um Meter gut. Schon jetzt. Begann jetzt schon der Marathon?? Das kann ja gar nicht mehr schief gehen, dachte ich bei mir. Am Ende dieser Zone angekommen, musste man sich nun entscheiden. Es standen Wegweiser in Richtung Block E und Wegweiser in Richtung Block A bis D. Beide zeigten in verschiedene Richtungen. Ich entschloss mich es zu versuchen, mindestens in Block D zu schaffen. Nun ging es noch mal durch ein Waldstück. Nur noch im Laufschritt. Ich musste nun noch einmal, Diesmal wohl vor Aufregung. Weiter gehts. Die Zeit lief. Nur noch 3 Minuten. Block D in Reichweite. Ich nahm den kürzesten Weg. Zwar ohne Luftballon, aber ich war froh es pünktlich geschafft zu haben. Über einen 1m hohen Zaun gings nun kletternder Weise in den Startblock. Nun standen wir alle da in unseren Müllsäcken. Diese sollten uns noch ein wenig warm halten bis zum Start. Einer lobte mich und sagte, das es eine gute Idee gewesen sei, die Zwischenzeiten auf den Unterarm zu schreiben. Ein recht netter Zeitgenosse. Super Stimmung war nun eigentlich überall. Ich war aber nun ziemlich mit mir beschäftigt. Nun sollte es also soweit sein. Der Sprecher sagte: "Noch 1 Minute bis zum Start". Ich zog mir nun auch meinen Müllsack über den Kopf und legte ihn an den Rand der Strecke zu den anderen. Es war ja nun auch warm genug in den Massen hier.
10 Sekunden... alle zählten runter... auch ich - natürlich lauthals!!! 5 - 4 - 3 - 2 - 1 - "PENG" - Die ersten sind nun los. Der Berlin Marathon 2004 ist gestartet. Ich jedoch stand noch. eine halbe Minute später kam Leben in de Massen. Es ging vorwärts. Immer dichter kam der Start. Es kam mir vor als wäre es eine kleine Ewigkeit. Nun war es soweit. Das Zirpen der Zeitmessgeräte kam nun immer dichter. Ich sah nun das 1. Mal die roten Matten, über die man laufen sollte, damit die Zeiten genau gemessen werden können. Nun ging es ganz schnell. Pieps - nun war mein Zeitmesschip auch dran und ich hoffte das er funktionierte. Es nieselte immer noch leicht. Aber egal. Die Zuschauer an der Strecke ließen alles ringsherum vergessen. Es war einfach überwältigend nun den Lauf meines Lebens gestartet zu haben. Es ging in Richtung Siegessäule oder auch "Goldene Else" genannt.
Alles war superlocker. Langsam, langsam, sagte ich mir. Nicht jetzt schon zu viele Kraftreserven beim Überholen verbrauchen. Auf dem Weg Richtung Siegessäule las ich auf einem Trikot etwas von "Büdelsdorf...". Ich klatschte ihm im Vorbeilaufen auf die Schulter und sagte ihm das ich aus Kiel komme und wünschte ihm viel Glück. Ich drehte mich im vorbeilaufen noch mal kurz um und dann galt meine ganze Aufmerksamkeit wieder meinem Tempo. Es schien mir alles ziemlich langsam voranzugehen. Nach dem 1. Kilometer waren etwas mehr als 4:30min auf meiner Uhr. Ich war also doch voll im Soll. Ich wollte ja einfach nur ankommen, sagte ich mir immer wieder. Locker, locker, nicht verkrampfen. Aber es lief richtig gut. Wir verließen nun die Strasse des 17. Juni und bogen in die Marchstrasse ein. Hier ging es leicht bergauf und danach wieder bergab. Als es wieder bergab ging sah ich diesen Riesenlindwurm von Läufern vor mir. Es war ein überwältigender Anblick. Es ging nun wieder zurück Richtung Zentrum und Reichstag. Die ersten 5 km waren geschafft. Und ich fühlte mich supergut. Ich war auch richtig gut in der Zeit und lief vor allem schön gleichmäßige km-Zeiten. Ich lag sogar ein paar Sekunde unter meiner Vorgabe auf dem linken Unterarm. Hier an dieser Stelle war ich schon mal 2 Tage vorher langgeschlendert um die blaue Linie zu verfolgen. Nun sah ich auch schon den Fernsehturm in der Ferne. Dort hatte ich mich mit meiner Family verabredet. Wir haben uns am Abend vor dem Marathon zusammengesetzt und 3 Stellen ausgemacht, wo sie mich an der Strecke anfeuern sollten. Alles genau durchgeplant mit vorausberechneten Durchgangszeiten. Der 1 Treffpunkt war an der Sparkasse am Alexanderplatz. Wir liefen nun auf den Friedrichstadtpalast zu. Einfach herrlich dies zu erleben, sagte ich mir immer wieder. Zu diesem Zeitpunkt wünschte ich mir, das dieser Lauf nie enden möge. Ich glaube ich bin noch nie so locker und dabei auch noch
war noch nie so schnell 10 km gelaufen. So kam es mir zumindest vor. Sicher war ich schon mal schneller. Aber es geht hier nicht darum 10 km zu finishen, sondern meinen Traum einen Marathon zu überstehen, zu verwirklichen. Nun noch eine Rechtskurve und dann... ich sah schon gleich von weitem meinen Onkel. Er überragte alle anderen Zuschauer, so schien es mir. Daneben meine ganze Familie, wie verabredet. Es hat geklappt. Ich lief mit erhobenen Armen in deren Richtung. Raus aus der Meute von Läufern. Ich freute mich wahnsinnig. Es machte soviel Spaß. Man kann es einfach nicht ausdrücken. Weiter gings nun in Richtung Kreuzberg und Kottbusser Tor. Hier standen so viele Menschen an der Strecke. Eigentlich standen an der ganzen Strecke viele Menschen aber hier waren bis jetzt die meissten. Kinder hielten immer wieder ihre Hände raus um von den Läufern abgeklatscht zu werden. Dies machte ich natürlich auch so gern mit. Teilweise standen bis zu 10 Kinder hintereinander und hielten ihr Hände raus. Einfach wunderbar. Und immer wieder die Schilder der Angehörigen der Läufer mit diversen lustigen Sprüchen drauf. Herrlich. Aber einen Moment des Schreckens hatte ich hier in Kreuzberg auch. Plötzlich und ohne Vorwarnung lief eine türkische Zuschauerin einfach über die Strasse und mir und meinen Mitläufern in den Weg. Ich fluchte und dachte so bei mir, das hätte es sein können. Wäre ich hier gestürzt, hätte der Traum jetzt schon vorbei sein können. Aber das Glück blieb bei mir. Ich war froh. Die ganze Strecke über musste ich auch aufpassen, das ich nicht unbedingt die ganzen tiefen Pfützen mitnehme, denn mit nassen Schuhen und Socken läuft es sich nicht gerade einfacher. So musste ich teilweise über diese Pfützen hüpfen. Es war also zwischendurch ein Hürden-Marathon. So ging es Richtung KM 20. Der 2. Treffpunkt. Ich war gespannt, ob ich sie diesmal auch alle sehen würde. Als ich Goebenstrasse Ecke Potsdamer Strasse ankam, hielt ich mich wie verabredet rechts. Ich sah sofort meinen Vater dort stehen. Ich jubelte ihm zu und er mir auch. Nach dem vorbeilaufen drehte ich mich nochmal kurz um, und suchte nach dem Rest der Familie. Leider haben wir uns dort nicht alle gesehen. Nun weiter Richtung Halbmarathonmarke. Hier nahm ich mein 1. von 2 Squeezy-Powergel-Packs. Ich spülte das süße Zeug mit ein paar Schluck Wasser runter. Ich wollte ja soviel wie möglich Kraftreserven auf den letzten Kilometern haben. Dies schien mir der richtige Zeitpunkt. Ich war nun gespannt auf meine Durchlaufzeit beim Halbmarathon. Der Luftballonbogen war schon in der Ferne zu sehen. "Die Hälfte ist geschafft" stand da drauf. Ich schaute auf meine Uhr, während ich die piepsende alle 5km liegende Zwischenzeitnahme überquerte. 1h29... zeigte meine Uhr an. Wenn ich dieses Tempo halten könnte, würde es kein Problem sein, die 3h-Marke gleich beim 1.Marathon zu knacken. Aber ich blieb ruhig. Ich wußte ja nicht was mich ab km 35 erwartete, da ich ja noch nie weiter als 35 km im Training gelaufen bin. Einfach nur noch mal so weit wie jetzt. Das musste doch machbar sein. Die Zuschauer an der strecke wurden einfach nicht weniger. Es kam mir so vor, als würden es mit jedem Kilometer mehr werden. Und immer wieder die Samba-Bands am Rande der Strecke. Auch die Kirchenglocken in Berlin legten eine Sonderschicht ein. Fast überall wurden die Glocken geleutet, als wir Läufer an den Kirchen vorbeiliefen. Ich konnte mich nun einfach nicht mehr zusammen reißen. Mir kullerten. vor Freude die ersten Tränen über die Wangen. Dieser Lauf übertraf alle meine Erwartungen. Ich lief wie in einer anderen Welt. Ich nahm das alles zwar noch wahr, aber ich dachte so bei mir, sowas wundervolles erlebe ich vielleicht nur einmal in meinem Leben. Ich sog all die Begeisterung der Leute an der Strecke in mich auf. Ich schwebte. Das Laufen war nun eigentlich nur noch Nebensache. Ich fühlte mich schon jetzt wie ein kleiner, großer Held. Und immer wieder die Kinderhände am Straßenrand. Durch das ganze Ringsherum verpasste ich nun einige Kilometermarken. Nun wußte ich zwischendurch also nicht, wieviele Kilometer es noch waren. Der wilde Eber. Nun wusste ich wieder wo ich bin. Diesen Punkt kann man nicht verpassen. 200m bis 300 m an der Strecke entlang waren große Boxen aufgebaut aus denen Samba-Musik erklang. Hier konnte man nur im Takt der Musik laufen. Wunderschön. Die Zuschauer standen hier glaube ich in 10er Reihen hintereinander. Wahnsinn. Eine unbeschreibliche Stimmung. Weiter gings. km 27 war nun hinter mir. Es ging mir immer noch richtig gut. Meine Oberschenkel schmerzten zwar ein wenig, aber das war nichts wildes. Einfach weiter. Etwa bei km 29 sagte der Streckensprecher, das gerade der 1. Kenianer Felix Limo die Ziellinie in 2h06min überquert hatte. Einfach unmenschlich. Wie geht sowas?!? Vor mir lagen noch 13 km. Das schaffste doch mit links, dachte ich. Auch von der Zeit lag ich noch gut in der Sub-3 Zielzeit. Rauf auf den Ku-Damm. Ich hörte nun immer mehr in mich hinein. Ich hatte mächtig Respekt vor dem was nun kommen würde. Aber auch bei km 35, wo der nächste Treffpunkt mit meinen Eltern und meiner Sister war, gings mir noch richtig gut. So weit bist du noch nie gelaufen, dachte ich bei mir. Die Geschichten von dem "Mann mit dem Hammer" von denen man immer wieder gelesen und gehört hatte wollte ich schon ins Reich der Märchen verdammen. Aber plötzlich bei km 37 oder 38 gings rund. Meine Beine?!? Was war los?? Ich sah nur noch die Leute am Straßenrand...schemenhaft...klatschend. Ich lief an den nächsten Versorgungsstand und trank 2 Becher Wasser im gehen aus und aß mein letztes Power-Gel. Ich hoffte das dies mich aufpeppeln würde. Weiter gings im Laufschritt. Potsdamer Platz. Es ging nix mehr. Ich sah den Fernsehturm und dachte mir, da musst du noch hin und dann noch zurück zum Brandenburger Tor. Dieser Gedanke schoss mir nicht nur durch den Kopf, sondern auch in die Glieder. Meine Beine waren wie Gummi. Ich nahm nicht mehr viel um mich herum wahr. Ich ging nun ein Stück (ca. 200 m) mit einem Becher Wasser in der Hand. Ich sah den Bordstein am Rande der Strasse und wollte mich dort einfach nur noch hinsetzen. Aber zum Glück war mein Geist noch so stark, das ich dies nicht zuließ. Alles schien nun in Zeitlupe an mir vorbeizuziehen. Es überholten mich nun immer mehr Läufer. Wie deprimierend. Auch ein Läufer vom THW Kiel (zumindest hatte er ein solches Trikot an) überholte mich nun. Ich wollte mich da ranhängen, aber es ging nicht mehr. Ich lief nun wie in Trance. Das rote Rathaus nahm ich noch wahr. Links abbiegen. Noch mal links. Km 40 war geschafft. Nun war ich wieder unter den Linden. In der Ferne fokussierten meine Augen nur noch eines. Das Brandenburger Tor. Das Ziel war in Sichtweite. Was hier links und rechts der Strecke los war, habe ich erst gesehen, als ich nach dem Lauf mit meinen Eltern und meiner Schwester in Richtung U-Bahn gegangen bin. Es gab nichts links und rechts von mir. Nur das Brandenburger Tor in der Ferne. Tunnelblick pur. Jetzt ging das Laufen wieder einigermaßen gut. Die Beine waren wieder da. Leider habe ich nicht wirklich wahrgenommen, als ich durch das Brandenburger Tor lief. Ich war irgendwie woanders. Ich weiß nur noch, das ich meine Schwester mir zujubelnd links am Rand der Strecke gesehen habe. Nur noch ein paar Meter. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, irgendwas besonderes beim Zieleinlauf zu machen zum Beispiel einen Purzelbaum oder so. Aber dies traute ich mir in meinem Zustand nicht mehr zu. Ich riss meine Arme hoch und schrie 2 Mal so laut ich konnte. Alle Anspannung konnte ich dadurch loswerden. Alles musste einfach raus. Die ca. 4000 Zuschauer auf der Zieltribüne habe ich auch nicht gehört. Ich war einfach nur mit mir alleine zu diesem Zeitpunkt. Ein letztes Mal die Arme hoch und "PIEPS" über die Zielmatten. Blick auf meine Stoppuhr. 3h06min...Super. Einfach Klasse. Mein erster Marathon war geschafft. Meine Beine schienen mir einen Streich zu spielen. Ich taumelte. Sofort kamen Leute von der 1. Hilfe und nahmen mich mit in ein Betreuerzelt. Es war kalt. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich sollte mich auf eine Liege legen. Blutdruck messen. Ziemlich abgesackt, sagte die Betreuerin. Es tat gut hier zu liegen, schön eingepackt in Decken. Es gab heißen Tee und "Aufpeppelwasser". Irgendwas war da drin. Nach 10 min gings mir wieder einigermaßen gut. Ich ging wieder. Ich realisierte erst jetzt, was wirklich passiert ist. Ich habe meinen ersten Marathon erfolgreich bestritten. Mir kamen nun zum 2.Mal die Tränen. Ich heulte einfach. Mir war egal was um mich herum los war. Das tat wirklich so gut. Eingepackt in eine weiße Wärmeschutzplastiktüte ging ich nun weiter und nahm von einem mich anlächelnden Mädel meine Medaille entgegen. Nun noch was trinken, ein paar Bananenstückchen essen und dann zur Massage. Dachte ich mir. Aber bei den Massagebetten herrschte Hochkonjunktur. Ich denke, ich hätte mir dort einen dicke Erkältung weggeholt, hätte ich mich dort angestellt und auf meine Massage gewartet. Also dann doch lieber schnell in die warmen Klamotten. Ich holte meine Sachen vom Kleiderbeutel - LKW und telefonierte nun mit meinen Eltern. Wir verabredeten uns direkt vorm Reichstag. Ich kam dort an und meine Familie auch. Sie standen auf einmal vor mir mit einer Rügen-Fahne und einem Lorbeerkranz. Diesen setzten sie mir auf den Kopf. Wieder kamen mir die Tränen. Wunderbar. Diese Überraschung hat alles übertroffen. Mir war klar und wurde immer klarer, das ich etwas unheimlich wahnsinniges vollbracht habe. Unbeschreiblich diese Gefühle. Nachdem ich mich umgezogen hatte und mir meine gelaufene Zeit in die Medaille eingravieren lassen habe, ging es umhüllt von der Rügen-Fahne und mit dem Lorbeerkranz auf dem Kopf zum Anstoßen in ein Restaurant.
Nach dem Marathon hatte ich nach einiger Zeit mal wieder einen Mega-Muskelkater, sowohl in den Oberschenkeln als auch in den Waden. Nach 4 Tagen ging aber auch das Treppensteigen bzw. heruntergehen wieder richtig gut.
Es war das bisher größte Erlebnis in meinem Leben. So an seine Grenzen zu gehen. Das ist es, was einen Marathon zum Marathon macht. Man erlebt einfach eine neue Welt wenn man einen Marathon läuft. Einen riesengroßen Dank noch mal an das wundervolle Publikum in Berlin und an meine Familie. Ohne Euch hätte es einfach nicht so ein schönes Erlebnis werden können. Macht weiter so!